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[Forschungsarbeit]



Im Folgenden stelle ich einige ausgewählte Auszüge aus meiner Forschungsarbeit online. Verfügbare Teile meiner Arbeit, teils zusammengefasst und abgeändert, sind in der unten stehenden Gliederung verlinkt.



                                                Inhalt

1. Vorwort zur Themenwahl

2. Einführende Informationen
        2.1 Zoophagie und Carnivorie im Pflanzenreich
        2.2 Die Moose - Abteilung Bryophyta
                  2.2.1 Allgemeine Informationen  zur Abteilung Bryophyta
                  2.2.2 Die beblätterten Lebermoose - Jungermanniidae
        2.3 Pleurozia purpurea
                  2.3.1 Allgemeines zu Pleurozia purpurea

3. Material und Methoden

4. Morphologie und Anatomie von Pleurozia purpurea
        4.1 Makroskopischer Aufbau
        4.2 Mikroskopischer Aufbau

5. Zoophagie bei Pleurozia purpurea
        5.1 Die Zoophagie-Hypothese
        5.2 Versuchsanordnung & Vorbereitungen
        5.3 Versuchsdurchführung
        5.4 Ergebnisse & Interpretation

6. Weiterführendes
        6.1 Zoophagie auch in der Natur?
                6.1.1 Moosaufgüsse
                6.1.2 Mikrofauna in den Mooskulturen 
                6.1.3 Untersuchung von Natur-Material
        6.2 Carnivorie bei Pleurozia purpurea?
                6.2.1 Anlockung 
                6.2.2 Verdauung und Nährstoffresorption
                6.2.3 Fazit

7. Nachwort und Ausblicke                                                          

8. Danksagung

9. Bild- und Quellennachweise





1. Vorwort zur Themenwahl

Fleischfressende Pflanzen üben auf viele Menschen eine große Faszination aus. Sie scheinen die „Ordnung der Natur“ durcheinander zu bringen, indem diese Pflanzen, häufig als bewegungslose und oft hilflose Lebewesen angesehen, selber zum Jäger werden. Sie fangen und fressen Tiere.

Anfangs wollten viele Menschen nicht glauben, was sie sahen und stritten die Möglichkeit von „fleischfressenden Pflanzen“ ab. Jedoch belegte 1875 Charles Darwin wissenschaftlich die Existenz fleischfressender Pflanzen und mittlerweile sind rund 600 carnivore Pflanzenarten bekannt. Sie gehören zu unterschiedlichsten Pflanzenfamilien und sind weit über die Erde verbreitet. Auch die Art des Tierfangs variiert. So gibt es verschiedene Fangtechniken, die sich über Jahrmillionen unabhängig voneinander entwickelt haben. Auffällig ist jedoch, dass alle bisher bekannten carnivoren Pflanzen eines gemeinsam haben. Sie alle zählen zu den Blütenpflanzen.

Im 19 Jahrhundert spekulierte man schon über den Tierfang diverser Lebermoosarten. Einige Arten der beblätterten Lebermoose bilden sog. Wassersäcke aus. Kleine krug- oder sackartige Strukturen, die man hauptsächlich als Wasserspeicherorgane interpretiert. Bei manchen Arten kann man kleine Tiere wie Fadenwürmer, Kleinkrebse und Rädertiere in den Wassersäcken finden. Sie scheinen mit den Moosen zusammen zu leben und die Wasserspeicherungsorgane als Lebensraum zu nutzen.

Zwei Gattungen der beblätterten Lebermoose weisen jedoch Wassersäcke auf, die kleinen reusenartigen Fallen gleichen. Schon GOEBEL[6] beschrieb 1893 die besonderen Wassersäcke des Lebermooses Pleurozia colcheariforme und diskutierte auch die Möglichkeit der „Insektivorie“. Er behauptete jedoch, dass man viel zu selten Tiere in den Wassersäcken vorfände, um von einem „insektivoren Moos“ auszugehen. Danach wurde das Thema lange Zeit nicht weiter behandelt.

Die Vorstellung, dass es Moose geben könnte, die ähnlich wie höhere Pflanzen Tiere fangen und vielleicht sogar fressen, faszinierte mich. Es wäre eine ganz andere Dimension von Carnivorie im Pflanzenreich, die dem Menschen mit bloßem Auge verborgen bliebe. Aus diesem Grund wollte ich mich näher mit diesen hochinteressanten Pflanzen beschäftigen und kontaktierte Prof. Dr. Jan-Peter Frahm, einen Bryologen des  Nees Instituts für Biodiversität der Pflanzen der Universität Bonn. Er hat das Lebermoos Colura zoophaga untersucht und seine Ergebnisse über den Tierfang bei dieser Art 2001 im „Taublatt“[5], der Vereinszeitschrift der Gesellschaft für Fleischfressende Pflanzen e.V. veröffentlicht. Auf meine Anfrage nach Material eines tierfangenden Mooses, erfuhr ich, dass Colura zoophaga in Afrika beheimatet ist und auch das Nees-Instutut kein Material mehr besitzt. Zudem seien auf dem Gebiet der Zoophagie bei Moosen noch viele Fragen offen. Nach einigen Wochen erreichte mich die Nachricht, dass Prof. Frahm an Material von Pleurozia purpurea aus Schottland gekommen ist. Dieses Lebermoos stand wie oben erwähnt schon lange unter dem Verdacht, Tiere zu fangen und somit wurde mir die Möglichkeit eröffnet, ein weiteres Lebermoos auf tierfangende Eigenschaften hin zu Untersuchen und ganz neue Erkenntnisse über Pleurozia purpurea und den Tierfang bei Lebermoosen zu gewinnen.

    Kann Pleurozia purpurea Tiere fangen?
    Auf welche Weise geschieht dies?
    Welche Tiere können gefangen werden?
    Findet der Tierfang auch in der Natur statt?
    Worin liegt der Nutzen der Zoophagie bei diesen Moosen?

Um diese Fragen zu klären, möchte ich mit dieser Arbeit meine Untersuchungen zur Morphologie und Anatomie des in Europa vorkommenden Lebermooses Pleurozia purpurea und meine Forschungsergebnisse betreffend des Tierfangs und der Carnivorie bei dieser Art präsentieren und diskutieren.



2.1     Zoophagie und Carnivorie im Pflanzenreich

Zoo-phagie (von griech. zóon = Lebewesen, Tier; phagein = fressen) bedeutet in der Botanik, trotz seiner wörtlichen Übersetzung (= „Tierfraß“), das bloße Fangen und Festhalten von Tieren. Dies kann verschiedenen Zwecken dienen. So fängt beispielsweise der Aronstab (bot. Arum maculatum) Fluginsekten mit seiner zu einer Kesselfalle umgebildeten Blüte, um zum einen seine weiblichen Blüten von dem Insekt bestäuben zu lassen. Zum anderen wird das Insekt mit Pollen aus den männlichen Blüten versehen. Nach dieser „Bestäubungs-Aktion“ wird das Insekt wieder in die Freiheit entlassen, damit es weite Blüten aufsuchen und diese bestäuben kann.

Mit Carni-vorie (von lat. cáro, cárnis = Fleisch; voráre = verschlingen, fressen) hingegen wird in der Botanik das „Fressen“ von Tieren bezeichnet. Es ist somit eine Form der Zoophagie, die immer dem Zweck der Nährstoffbeschaffung dient. Die carnivore Eigenschaft einer Pflanze ist oft durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

o Anlocken der Beutetiere

o Fang der Beutetiere

o Töten der Beutetiere

o Verdauen/Zersetzen der Beutetiere

o Resorption und Nutzung der entstandenen Nährstoffe
Nepenthes maxima mit angelocktem Insekt


Carnivorie im Pflanzenreich hat sich als Anpassung an eine Nährstoffarmut im Lebensraum der jeweiligen Pflanzen entwickelt. Die Lebensräume der carnivoren Pflanzen sind meist oligotroph und somit für viele andere Pflanzen nicht besiedelbar. Die Pflanzen kommen an sog. Extremstandorten wie z.B. in Mooren, auf Hangquellsümpfen, auf nassen Sandflächen oder epiphytisch auf Steinen und Ästen vor. Diese Biotope werden meist durch Regenwasser gespeist (ombotroph), was häufig der Grund für die Nährstoffarmut ist.
        
So haben sich im Laufe der Evolution bestimmte Organe mancher Pflanzen zu Fangorganen bzw. Fallen zum Fang von Tieren differenziert. Die Entwicklung solcher Fallen verlief sogar über Familiengrenzen hinweg „parallel“ (konvergente Evolution). Die Beutetiere, meistens Insekten, werden mit den zu Fallen umgeformten Blättern gefangen und festgehalten. Meistens werden die Beutetiere dann recht schnell durch Ersticken zu Tode gebracht (Vgl. Fangschleim bei Drosera oder Verdauungssaft bei Nepenthes, Sarracenia etc.). Die Nährstoffe, die bei der Zersetzung der Tiere in bzw. auf den Fallen frei werden, werden über die Epidermis der Blätter bzw. Fallen (Resorptionsgewebe) aufgenommen. Die Beutetiere dienen somit als „Nahrungsergänzung“, da sie in ihrem Gewebe viel Kalium, Phosphor und vor allem den für Pflanzen wichtigen Stickstoff enthalten. Die carnivoren Pflanzen sind zwar wie alle anderen grünen Pflanzen Kohlenstoff-autotroph, sind aber gleichermaßen auf weitere Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor angewiesen. Aufgrund des oligotrophen Lebensraumes besteht die Notwendigkeit, auf anderem Wege zu diesen wichtigen Nährstoffen zu kommen.
 
Viele carnivore Pflanzen sondern auch eigene Enzyme zur Zersetzung der Beutetiere ab, die somit erst die Aufnahme der tierischen Nährstoffe ermöglichen. Manche Arten hingegen sondern keine eigenen Verdauungsenzyme ab und beherbergen statt dessen in ihren Fallen Bakterien, welche die Beutetiere zersetzen und mineralisieren (So z.B. bei der Schlauchpflanze Sarracenia purpurea). Die meisten carnivoren Pflanzen verfügen auch über ein Gewebe zur Resorption der Spaltprodukte.

Es gibt viele verschiedene Gattungen carnivorer Pflanzen mit z.T. mehreren hundert Arten. Da manche Gattungen ihre carnivore Eigenschaft parallel und völlig getrennt voneinander entwickelt haben, sind auch die Fangtechniken teilweise sehr verschieden. Manche Gattungen wie z.B. die bekannte Venus-Fliegenfalle (Dionaea muscipula) haben aktive Fallen, die ihre Opfer mit einer Fangbewegung festhalten. Andere wiederum haben passive Fallen. Sie bilden  z.B. krug- oder schlauchartige Grubenfallen aus, wie beispiels­weise die Schlauchpflanzen (Gattung Sarracenia), welche die gefangenen Tiere durch ihren Bau am Entfliehen hindern.

Die bisher bekannten Carnivoren im Pflanzenreich haben alle eines gemeinsam. Sie gehören der Gruppe der höheren Pflanzen (Kormophyta) an, haben den dafür typischen Aufbau (Kormus) und sind des Weiteren alles Blütenpflanzen. Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob die Carnivorie sich nicht auch analog in anderen Abteilungen bzw. Entwicklungsstufen im Pflanzenreich entwickelt haben kann oder ob diese Fähigkeit ausschließlich den höheren Pflanzen zukommt. Zudem sind die Übergänge von Zoophagie zur Carnivorie fließend und einige Pflanzen lassen sich nicht genau einordnen. So gibt es auch Pflanzen wie beispielsweise der Gattung Roridula, die zwar Tiere fangen, jedoch nur indirekt durch tierische Symbionten, die sich auf ein Leben auf den Fallen spezialisiert haben, von dem Tierfang profitieren. Bei solchen nicht genau einzuordnenden Fällen wie bei der Verbindung der Carnivorie mit einer Symbiose ohne eine direkte Nutzung der Beutetiere von der Pflanze spricht man von sog. Präcarnivoren, wobei dieser Begriff mit seiner wörtlichen Übersetzung (= „Vor dem Fleisch fressen“) wohl etwas unpassend ist, da im Falle der Präcarnivoren keine Entwicklung zu eindeutiger bzw. vollständiger Carnivorie voraussetzt ist.



2.3.1 Allgemeines zu Pleurozia purpurea

Der Gattungsname Pleurozia kommt aus dem Griechischen (von griech. pleura = Seite; ozos = Knospe) und deutet auf die seitliche Stellung der Gametangienstände hin. Die Gattung Pleurozia umfasst ca. 15 Arten, die alle bis auf die europäische Art Pleurozia purpurea in den Tropen beheimatet sind. Pleurozia purpurea hat eine äußerst disjunkte Verbreitung. So kommt sie in  Europa von Südwestnorwegen  bis Irland vor. Außerdem ist sie z.B. auch in Alaska, China und am Himalaya beheimatet. Zudem ist die Art nur steril bekannt. Sie bildet weder Sporophyten noch Brutkörper zur vegetativen Vermehrung. Aus diesen Gründen nimmt man an, dass es sich bei den heutigen Vorkommen von Pleurozia purpurea um Relikte eines größeren Verbreitungsareals aus früheren erdgeschichtlichen Zeiten (evtl. Tertiär) handelt. Die Pflanzen vermehren sich ausschließlich durch Verzweigungen, indem neue Vegetationsspitzen seitlich bestehender Pflanzen entstehen.  Pleurozia purpurea gehört zur Unterabteilung Jungermanniidae, den beblätterten Lebermoosen, und ist schon durch ihren besonderen Habitus leicht von anderen Lebermoosen zu unterscheiden. Die Wassersäcke von Pleurozia gehören wohl zu den komplexesten unter den Lebermoosen. GOEBEL[6] untersuchte Wassersäcke von Pleurozia cochleariforme und stellte fest, dass diese einige Besonderheiten aufweisen. Er führte auch die Ähnlichkeit der Wassersäcke zu den Fangblasen von den Wasserschlaucharten (Utricularia), einer carnivoren Pflanzengattung, auf und vermutete, dass auch die Wassersäcke von Pleurozia cochleariforme dem Tierfang dienen könnten, da er auch Tiere in den Wassersäcken fand. GOEBEL[6] meinte jedoch, dass man viel zu selten Tiere in den Fallen vorfinde, als man erwarten müsste, wenn die Pflanze „insektivor“ wäre. Daher wurden die Pleurozia-Arten nicht weiter auf eine zoophage Eigenschaft hin untersucht und es liegen bisher keine Belege dafür vor.



3. Material und Methoden

Das Untersuchungsmaterial stammt aus Schottland und Irland von Heidemooren mit torfigem Untergrund, was auf einen niedrigen pH-Wert und einen geringen Nährstoffgehalt schließen lässt. Pleurozia purpurea lebt in einer oligotrophen Umwelt und ist mit Torfmoos (Sphagnum sp.), Moorlilie (Narthecium ossifragum), Heide (Calluna vulgaris) und auch carnivoren Pflanzen wie Drosera rotundifolia und Pinguicula grandiflora vergesellschaftet. Zur Kultur wurde ein Teil des Moos-Materials in große Petrischalen (d = 20cm; h = 5cm) auf Quarzsand, der zuvor im Trocken­schrank sterilisiert wurde, gebettet und bei ca. 15-17°C unter Leuchtstoffröhren zur künstlichen Beleuchtung gehalten. Bei Bedarf wurde das Moos mit demineralisiertem Wasser oder Regenwasser besprüht. Diese Kulturen hielten sich über viele Monate und die Pflanzen waren einige Zeit gut für Untersuchungen zu gebrauchen. Die konstanten Bedingungen (Temperatur, Luftfeuchte) führten auf Dauer jedoch zum gesteigerten Längenwachstum der Pflanzen, zu schnellerer Verwesung des toten Gewebes und dazu, dass sich in den Kulturen unerwünschte Algen bildeten. Somit war klar, dass die Petrischalenkultur für Pleurozia purpurea langfristig ungeeignet ist, wenn sie nicht steril ist. Mittlerweile befindet sich das Material in einem kühlen Terrarium unter Kunstlicht mit einer zeitgeschalteten Beregnungsanlage. Auch ein kleines Moorbeet wurde eigens für Pleurozia purpurea eingerichtet, um das Moos dauerhaft draußen, der Witterung vollständig ausgesetzt, anzusiedeln. Dazu wurde das Moos in Sphagnum-Polster (ebenfalls vom Naturstandort) eingebettet und sehr feucht gehalten. Nach den ersten Frösten im Winter 2004 haben sich die Pleurozia-Pflanzen dunkelbraun bis schwarz verfärbt und sahen zunächst völlig tot aus. Bei näherer Betrachtung unter dem Stereomikroskop stellte sich jedoch heraus, dass die Pflanzen wider Erwarten leben. Während die Oberlappen sich derartig verfärbt haben, sind Wassersäcke, Zentralstängel und auch die Vegetationsspitze im Innern grün geblieben und scheinen intakt. Leider ist zu verzeichnen, dass recht extreme Trockenphasen im Wechsel mit Niederschlägen, wie wir sie hier in Mitteleuropa erleben, zum Tod der Pflanzen führten. Sie scheinen sehr auf das feuchte, ozeanische Klima angewiesen zu sein.
        Die makroskopischen Untersuchungen wurden ohne optische Hilfsmittel gemacht. Sie umfassen alles, was im Auflösungsvermögen des menschlichen Auges liegt. Um den detaillierten Aufbau von Pleurozia purpurea zu klären, wurden die Pleurozia-Pflanzen unter einem Stereo-Mikroskop (Vergrößerung 7-45x) präpariert, während zur näheren Untersuchung mancher Präparate ein Durch­licht­mikros­kop mit dem Vergrö­ße­rungs­bereich 40-400x Verwendung fand. Zur visuellen Unterstützung der Beschrei­bungen wurden viele Fotos mit einer an die Mikroskopokulare adaptierten Digital­ka­me­ra gemacht und einige Zeichnungen angefertigt.

P. purpurea am Naturstandort [Irland] P. purpurea in Gesellschaft mit Sphagnum [Schottland] Petrischalenkultur auf sterilem Quarz-Sand



4. Morphologie und Anatomie von Pleurozia purpurea

Pleurozia purpurea bildet wurmförmige Pflanzen bis zu ca. 10 cm Länge, die teilweise einfache Verzweigungen aufweisen. Die Breite der Pflanzen beträgt 1–3 mm. Sie kriechen niederliegend, teilweise leicht aufsteigend über die Oberfläche oder sind in der Natur oftmals in Torfmoos (Sphagnum sp.) eingebettet. So haben diese teilweise keinen direkten Kontakt mit dem Substrat. Die Pflanzen bestehen aus einer lebenden, ständig weiterwachsenden Vegetationsspitze und einem toten Ende aus älterem, abgestorbenem Gewebe. Der lebende Teil einer Pflanze hat im Ganzen meist ein bräunlichrotes Erscheinungsbild. Bei näherer Betrachtung kann man erkennen, dass das lebende Gewebe vieler Pflanzen einen Farbverlauf von hellgrün (Vegetationsspitze) über goldgelb zu einem kräftigen purpurrot aufweist. Die Färbung hängt somit zum einen von dem Alter des Gewebes, aber sicherlich auch stark von den Lichtverhältnissen, denen die einzelnen Pflanzen ausgesetzt waren, ab. So sind manche Pflanzen vermutlich durch hohe Sonnenbestrahlung durchgehend dunkelrot gefärbt und werden dem Artnamen „purpurea“ gerecht. Der vordere, lebende Teil der Pflanze von ca. 3-6 cm Länge geht fließend in das ältere, tote Gewebe von meist hellbrauner Färbung über, welches sich dann mit der Zeit zersetzen wird.

Pflanzen mit Vegetationsspitzen und toten Enden Vegetativer Teil einer Einzelpflanze Zahlreiche Seitentriebe

Wie die meisten beblätterten Lebermoose ist auch Pleurozia purpurea dorsiventral gebaut und besitzt eine deutliche Ober- und Unterseite. Die Pflanzen bestehen aus einem Stängel mit rundem Querschnitt, an dessen Oberseite wechselständig gestellte Blättchen sitzen. Die Blättchen sind elliptisch bis eiförmig und weisen am äußeren Blattrand eine Kerbe bzw. einen Einschnitt auf. Der Blattrand an dieser Stelle ist gezähnt. Die so entstehenden „Blatt-Zipfel“ sind durch die nach außen konvexe Blattkrümmung zueinander gebogen. Die flach anliegenden Blättchen überdecken sich dachziegelartig, sodass ein Blatt jeweils die Basis des vorderen Blattes verdeckt. Durch diese oberschlächtige Anordnung und dadurch, dass die Blättchen so dicht aufeinander aufschließen, entsteht das segmentierte bzw. wurmartige Aussehen der Pleurozia-Pflanzen. Es handelt sich bei den gerade beschriebenen Blättchen um die sog. Oberblätter, die sich im Laufe der Evolution in Ober- und Unterlappen geteilt haben. Die Oberlappen bilden, wie schon angedeutet, die Oberseite der Pflanzen und umgreifen schalenförmig den Stängel und die Seiten der Unterlappen, die an der Unterseite des Zentralstängels sitzen.

A: dorsal, oberschlächtige Blättchen
B: ventral, Wassersäcke
REM-Aufnahme der Ventralseite mit Wassersäcken Zeichnung einer Blatteinheit bestehend aus Ober- und Unterlappen (Wassersack)

Auch die Unterlappen der Oberblätter haben sich im Laufe der Evolution stark verändert. Sie haben sich zu den Wassersäcken entwickelt. Diese sitzen wechselständig hintereinander an der Ventralseite des Stängels und erscheinen oberflächlich betrachtet als geschlossene,  hohle   Körper  von birnenförmiger   Gestalt. Seitlich sind die Wassersäcke noch ein kurzes Stück mit dem Oberlappen verwachsen. Durch die Einzellschichtigkeit der Wassersackwandungen sind diese recht dünn und transparent. An der Hinterseite eines jeden Wassersackes befindet sich eine Einbuchtung, die trichterartig in den Sack ausläuft. Dies ist die Öffnung des Wassersackes. Nach Entfernen der vorderen Wassersackwandung, kann man erkennen, dass der in den Wassersack führende tunnelartige Eingang von einer kleinen beweglichen Klappe verschlossen gehalten wird. Dieses hyaline „Häutchen“ aus farblosen Zellen ist wie mit einem Scharnier an der Öffnung ins Innere des Wassersackes befestigt und liegt dort wie auf einem Widerlager auf. Diese Tatsache ermöglicht ein leichtes Öffnen der Klappe nach innen, macht aber ein Öffnen nach außen unmöglich. Bei einer genaueren mikroskopischen Untersuchung des „Häutchens“ fällt auf, dass die Zellen am Ansatz desselben eine besondere Form aufweisen. Sie sind im Gegensatz zu den übrigen länglich und schmal und liegen längs entlang der Ansatzstelle. Scheinbar sorgen Form und Anordnung dieser Zellen für partielle Instabilität, aus der eine „Scharnierwirkung“ resultiert.

Isolierter Wassersack, lateral
REM-Aufnahme, Wassersack lateral angeschnitten Öffnung mit hyalinem Häutchen



5.1 Die Zoophagie-Hypothese

Insgesamt weisen die Wassersäcke von Pleurozia purpurea durch ihre morphologischen Eigenheiten die Struktur einer winzigen Falle auf. Die untenstehende Abbildung zeigt eine schematische Darstellung eines Wassersackes im Längsschnitt, die an die Tierfallen der fleischfressenden Pflanzen erinnert. So liegt es nahe, diese Organe auf ihre Fähigkeit zur Zoophagie zu testen. Die Fallenstruktur ist aber in so kleinem Maßstab, dass Insekten, die Beutetiere der höheren carnivoren Pflanzen, als Opfer nicht in Betracht kommen. Eine Falle in diesen Dimensionen müsste auf weitaus kleinere Lebewesen ausgerichtet sein.

Schematische Darstellung eines Wassersacks, längs:

v = Vorhof

wl = Wassersacklumen

k = bewegliche Klappe


Die interessanten morphologischen Befunde und die Informationen über den oligotrophen Lebensraum von Pleurozia purpurea geben Anlass, zu klären, ob das Lebermoos in der Lage ist, mit den komplexen Wassersäcken Tiere zu fangen und diese gefangen zu halten. Im folgenden bezeichne ich diese Fragestellung als Zoophagie-Hypothese.



5.2 Versuchsanordnung & Vorbereitungen

Um zu testen, ob Tiere tatsächlich in die Fallen gelangen und dort gefangen bleiben, wird eine Pleurozia-Pflanze in einem kleinen Gefäß mit Testtieren zusammengebracht und das Verhalten der Tiere beobachtet. Nach einer Zeit ist dann zu prüfen, ob Tiere in die Wassersäcke gelangt sind und dort festgehalten werden.
Nun stellt sich die Frage, welche tierischen Organismen für den Zoophagie-Test als Test-Beute dienen könnten. Die Tiere müssen sowohl von ihrer Größe, als auch von ihrem Bewegungsdrang in der Lage sein, in die Wassersäcke von Pleurozia purpurea zu gelangen. In Anlehnung an die Erkenntnis, dass Genlisea, eine höhere carnivore Pflanze, mit ihren unterirdischen Reusenblättern Ciliaten fangen kann, kamen für den Zoophagie-Test mit Pleurozia purpurea ebenfalls mobile Ciliaten in Betracht. So wurden für anschließende Versuche Kulturen von Blepharisma americanum, einem heterotrichen Ciliaten von ca. 200 µm Länge, und dem bekannten Pantoffeltier Paramecium caudatum etabliert.
Bei der Beobachtung der Ciliaten fallen einige Unterschiede zwischen Blepharisma und Paramecium auf. Da sie den Zoophagie-Test mit Pleurozia purpurea beeinflussen könnten, sind sie vielleicht von Bedeutung. Blepharisma americanum verhält sich im Vergleich zu Paramecium caudatum recht passiv. Die Tiere erscheinen im ersten Moment unter der Stereolupe fast bewegungslos. Beobachtet man ein einzelnes Tier, sieht man, wie es sich sehr langsam über die Oberfläche des Kulturgefäßes bewegt. Die Zellen sind ziemlich oberflächengebunden und halten sich größtenteils auf dem Boden der Petrischale auf. Paramecium caudatum zeigt hingegen ein sehr viel aktiveres Schwimmverhalten. Die Zellen schwimmen um ihre Längsachse rotierend zügig durch das Kulturmedium und erscheinen somit nicht sehr oberflächengebunden. Auch die Vermehrungsgeschwindigkeit unterscheidet sich in meinen Kulturen. Blepharisma americanum vermehrt sich in meinen Kulturen schneller und zuverlässiger als Paramecium caudatum. Zudem kann man die Blepharisma-Zellen aufgrund ihrer Ansammlung am Petrischalenboden mit einer Pipette leicht in hohen Konzentrationen gewinnen und durch die rosa Eigenfärbung (Pigmentierung mit Blepharismin) eignen die Zellen sich ganz hervorragend zum Test auf Zoophagie bei Pleurozia purpurea, da die sie gut mit dem Hellgrün der Wassersäcke kontrastieren. Dies erleichtert die lichtmikroskopische Analyse.

Kultur von Blepharisma americanum Blepharisma americanum, Testbeute im Zoophagie-Versuch



5.3 Versuchsdurchführung

Eine völlig unbehandelte Pleurozia-Pflanze aus der Petrischalenkultur wird zu der Kultur­flüssigkeit mit den Ciliaten (Blepharisma americanum) gegeben, die sich in einer kleinen Petrischale (d = 3cm) befindet. Anschließend wird das Verhalten der Tiere beobachtet und  nach einer bestimmten Zeit die Pleurozia-Pflanze aus dem Versuchsansatz entfernt, mit Wasser abgespült und unter dem Mikroskop untersucht, ob sich Test-Ciliaten in den Wassersäcken befinden. Im Folgenden wird beobachtet, ob die Tiere wieder aus den Fallen gelangen können.



5.4 Ergebnisse & Interpretation

Nach Hinzugabe der Pleurozia-Pflanze ist zu beobachten, wie sich die Ciliaten an dieser ansammeln und sich über die Blattoberflächen bewegen. Sie scheinen von der Pflanze angelockt zu werden. Schon nach kurzer Zeit kann man die ersten „gefangenen“ Tiere durch die halbtransparenten Wassersackwände beobachten. Die Ciliaten kreisen lebhaft an den Innenwänden der Wassersäcke umher und zeigen normale Vitalität. Sie scheinen weder durch den „Fangvorgang“, noch durch das innere Milieu des Wassersackes beeinträchtigt zu werden. Es gelingt den Zellen jedoch nicht, aus dem Wassersack zu entkommen. Bereits nach 30 Minuten befinden sich in 86% der Wassersäcke bis zu 11 gefangene Ciliaten. Wenige Stunden später waren bis zu 16 Tiere pro Wassersack vorhanden. Auffällig ist, dass bestimmte Wassersäcke sehr effektiv Ciliaten fangen, andere wiederum kaum.

Die Ciliaten sind in den Wassersäcken von Pleurozia purpurea gefangen

Die Versuchsergebnisse beweisen eindeutig, dass Pleurozia purpurea die Fähigkeit besitzt, kleine Einzeller, in diesem Fall Blepharisma americanum, mit ihren fallenartig geformten Wassersäcken effektiv zu fangen und diese festzuhalten, was den ersten sicheren Nachweis der Zoophagie unter Laborbedingungen bei Pleurozia purpurea darstellt.



6.1 Zoophagie auch in der Natur?

Mit dem Nachweis der Zoophagie bei Pleurozia purpurea im Versuch taucht zwangsläufig die Frage auf, ob das Lebermoos auch in der Natur gleichermaßen wie im Versuch Tiere fängt. Das gab mir den Anlass 2004 nach Schottland und 2005 nach Irland zu reisen, um den natürlichen Lebensraum dieses zoophagen Mooses zu untersuchen. Neben der Art des Biotops und der Begleitflora, galt meine Aufmerksamkeit besonders den Lebewesen, die sich an und in den Pleurozia-Pflanzen befinden.
Schottland 2004, nahe dem Standort
 


6.1.2 Mikrofauna in den Mooskulturen

Schon während ich die Zoophagie-Versuche durchführte, hat sich in den Petrischalenkulturen völlig unerwartet eine reiche Mikrofauna entwickelt, die ebenfalls aus den am Pleurozia-Moos mitgebrachten Organismen resultieren muss, da für die Moos-Kultur im Trockenschrank sterilisierter Quarzsand verwendet wurde und die geschlossenen Petrischalen eine Kontamination von außen verhindert haben sollten.
    Bei mikroskopischer Betrachtung der Wassersäcke einer Pleurozia-Pflanze aus der Kultur findet man eine Vielzahl gefangener Tiere in den Wassersäcken vor. Manche Wassersäcke sind regelrecht angefüllt mit Tieren. So befinden sich sehr häufig Fadenwürmer (Nematodes) und kleine Flagellaten gefangen in den Wassersäcken. Auch diese Organismen erscheinen wie die Test-Ciliaten im Versuch meist vital. Außerdem hat sich noch ein anderes Tier zahlreich in den Kulturen entwickelt. Es handelt sich um einen kleinen Strudelwurm (Turbellaria). Diese Tiere sitzen am häufigsten in den Fallen fest. Bis zu fünf Tiere waren pro Falle zu zählen.
        Diese Befunde zeigen schon einmal, dass die Tiere in den Kulturen ebenfalls in zahlreicher Weise von den Wassersäcken gefangen werden. Inwieweit die Kulturansätze von Pleurozia nun mit den Naturverhältnissen zu vergleichen sind, kann man alleine aus diesen Beobachtungen jedoch nicht beurteilen. Die Tierfunde in den Fallen stellen jedoch ein weiteres, durchaus ernsthaftes Indiz für die Zoophagie von Pleurozia purpurea unter natürlichen Bedingungen dar. Der Beweis dafür kann jedoch nur durch eine direkte Untersuchung am Naturstandort erbracht werden.



6.1.3 Untersuchung von Natur-Material

Um dieser Frage nachzugehen, bin ich wie bereits erwähnt 2004 nach Schottland gereist und habe Proben für weitere Untersuchungen genommen. Zur fotografischen Dokumentation des Pleurozia-Fundes wurden mit der Digitalkamera QV-3500 EX von Casio Aufnahmen von Standort, Begleitvegetation und von Pleurozia purpurea selbst gemacht. Für die Untersuchungen zur Zoophagie in der Natur wurden einige Proben von Pleurozia purpurea in sterile Tüten verpackt (Lebendmaterial). Des weiteren wurden einige Pflanzen vor Ort in verdünnte Formaldehyd-Lösung (c = 3,5%) eingelegt, um möglichst viele Lebewesen an und ggf. in den Pleurozia-Fallen zu konservieren und somit die naturgetreue Situation für weitere mikroskopische Untersuchungen zu fixieren.
        Bei den Pflanzen vom Naturstandort war zunächst auffällig, dass z.T. sehr große Tiere den Wassersäcken zum Opfer gefallen sind. So waren schon durch die Wassersackwände verschiedene Ruderfußkrebse (Copepoda) zu erkennen, die hin und wieder erschöpft in den Fallen zuckten und teilweise schon tot waren. Bei genauerer Bestimmung der Tiere stellte sich heraus, dass es sich oft um den Mooswurm (Bryocamptus minutus) oder enge Verwandte handelt. Des weiteren befanden sich in den Fallen nicht selten Fadenwürmer (Nematodes), wie auch in Pflanzen aus der Petrischalen-Kultur. Teilweise sogar mehrere Nematoden pro Falle. Die häufigste Beute jedoch scheint ein anderes, viel kleineres Tier zu sein. Ein farbloses Rädertier (Rotatoria), welches sich oft schon bei äußerer Betrachtung der Wassersäcke durch seine kontraktilen Kriechbewegungen verrät. Diese Tiere befinden sich fast in jeder Falle und bewegen sich munter an den inneren Wassersackwänden entlang. Bei den Rädertieren scheint es sich um Vertreter der Gattung Cephalodella zu handeln. Die Fallen enthalten nicht selten mehrere Tiere und oftmals (besonders ältere Fallen) tote organische Materie (Detritus) sowie Reste zuvor gefangener Tiere. Die Anzahl gefangener Tiere hängt sehr stark von der Position der einzelnen Moospflanze ab. Aufrechte Pflanzen, die bei entsprechenden Temperaturen recht trocken werden, enthalten oft keine sichtbaren Tiere, während Pflanzen, die sich in einem feuchten bis nassen Medium befinden (z.B. in nassem Torfmoos), reichlich gefangene Tiere aufweisen.  
        Die mit Formaldehyd-Lsg. fixierten Pflanzen wurden zunächst von anhaftenden Detritus und Pflanzenteilen befreit und mehrmals gründlich in sauberem Formalin gespült, bis auch die Zwischenräume der Blättchen sauber waren. Danach wurden mit Hilfe des Skalpells alle Oberlappen der Oberblätter entfernt, sodass die Wassersäcke (Unterlappen) frei lagen. Durch Entlangfahren der Skalpellklinge über den Zentralstängel an der Basis der Wassersäcke wurden dieselben abgetrennt. Die gefangenen Tiere wurden aus den Wassersäcken präpariert, bestimmt und fotografisch dokumentiert. Auch bei den fixierten Pflanzen fanden sich Ruderfußkrebse (Copepoda) und Fadenwürmer (Nematodes) in den Fallen. Mit Abstand die häufigste „Großbeute“ war erstaunlicherweise jedoch das Bärtierchen (Tardigrada). Ein Tier, welches ich zuvor noch nie in Pleurozia-Fallen gefunden habe. Weiterhin waren sogar Spinnentiere (Arachnida) in den Fallen zu finden. Es handelt sich dabei um Milben (Acari), die mit Abstand die größten Opfer darstellen. Teilweise waren sie so groß, dass sie den gesamten oberen Innenraum des Wassersackes ausfüllten und es ein Rätsel war, wie und warum die Tiere in die engen Wassersäcke gekommen waren. Diese sind nämlich völlig unbeschädigt geblieben. Von Rädertieren und Ciliaten fehlte hingegen jede Spur. Diese Tiere scheinen sich durch die Fixierung mit Formalin bis zur Unkenntlichkeit verändert zu haben. Ein Kontrollversuch mit Blepharisma americanum, dem Lidtierchen, und einigen Rädertieren zeigte, dass Ciliaten kurze Zeit nach Formalinzugabe an Plasma-Ausstülpungen zu Grunde gehen und nach einiger Zeit vollends lysieren, während die Rädertiere sich zu einem undefinierbaren Klümpchen kontrahieren. So ist geklärt, warum in einer Formalin-fixierten Probe weder Ciliaten noch Rädertiere zu finden sind.
        Die Untersuchungsergebnisse bestätigen, dass Pleurozia purpurea auch in der Natur Tiere fängt und geben Aufschluss über das Spektrum gefangener Tiere. Erstaunlich ist, dass Pleurozia purpurea in der Natur entgegen der Vermutung, dass die Wassersäcke besonders für Protozoen eine Falle darstellen, häufig mehrzellige Tiere fängt. Die Ähnlichkeit des Artenspektrums in Petrischalenkultur und Natur spricht für die Indizien aus der Petrischalen-Fauna.

Milbe in Wassersack gefangen Copepode aus Wassersack Bärtierchen aus Wassersack Nematode aus Wassersack



6.2 Carnivorie bei Pleurozia purpurea?

Eine weitere Frage ist der Nutzen der Zoophagie für Pleurozia purpurea. Im Laufe der Evolution setzen sich ja bekanntlich jene Merkmale durch, die einem oder mehreren Lebewesen einen Vorteil zur Selbsterhaltung bzw. zur Arterhaltung verschaffen. So ist offen­sichtlich, dass so komplexe Wassersäcke mit einer Fallenstruktur wie bei Pleurozia sich nicht zufällig entwickelt bzw. durch­gesetzt haben. Da die Wassersäcke, wie schon erwähnt, den Fallen mancher carnivorer Pflanzen sehr ähnlich sind, liegt es nahe, die Carnivorie auch bei Pleurozia purpurea zu vermuten. Um diese Carnivorie-Frage bei Pleurozia purpurea zu klären, muss man die Pflanze auf die typischen Merkmale der Carnivorie hin untersuchen.



6.2.3 Fazit

Im Ganzen ist anzunehmen, dass manche der häufigen Carnivorie-Merkmale sicher nicht bei Pleurozia nachzuweisen sind, sodass Carnivorie bei Bryophyten vielleicht anders definiert werden  müsste. Es ist vorstellbar, dass Moose denselben Nutzen wie carnivore Kormophyten aus dem Fang von Tieren ziehen, sie jedoch wegen ihrer einfacheren Organisation auch nur die grundliegenden Merkmale der Carnivorie aufweisen. Zudem lässt sich nicht aus­schlie­ßen, dass es sich wie bei den Präcarnivoren um komplexere Zusammenhänge (Symbiosen mit Bakterien o.ä.) handelt, da Pleurozia ihre „Opfer“ nicht zu töten scheint. Dennoch stellt der Tierfang dieses im Extremstandort Moor beheimateten Lebermooses eine wunderschöne Analogie zu den höheren carnivoren Pflanzen im gleichen Habitat dar.



8. Danksagung

Zunächst möchte ich Prof. Dr. Jan-Peter Frahm vom Nees Institut für Biodiversität der Pflanzen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn für das Bereitstellen des ersten Pleurozia-Materials, die Informationsbeschaffung und die zahlreichen Hilfestellungen danken. Prof. Dr. Norbert Wilbert danke ich für das Bereitstellen der Ciliaten-Kulturen und für Tipps zur Kultur dieser. Meinen Lehrern Frau Gude (Biologie) und Herr Wissemann (Chemie) sei für die Unterstützung mit Geräten, Chemikalien und Ratschlägen gedankt. Ein ganz besonderer Dank kommt meinem Freund Karsten Günther zu, der sich einerseits als Pflanzensammler konkreten Fragestellungen zugewandt hat, anderseits mich ständig mit ermutigenden Worten motiviert und unterstützt hat, wenn Probleme auftauchten. Klaus Heuser und Martin Schmalenbach der Biologie-Abteilung des Aggerverbands möchte ich für diverse Mikrofotos und das problemlösende Interesse an der Thematik danken. Für die freundliche Informationsbereitstellung und die In-Vitro-Versuche mit Pleurozia möchte ich Prof. Hans Becker und Klaus Gladel der Universität des Saarlandes danken. Jonathan Sleath, Gordon Rothero und Mark Pool von der British Bryological Society und Richard Weyl danke ich für sämtliche Informationen über das Pleurozia-Vorkommen in Schottland. Zuletzt habe ich auch meinen Eltern für Unterstützung und Ermöglichung meiner forschenden Tätigkeiten zu danken.         



9. Bild- und Quellennachweise

Alle Fotografien wurden vom Autor mit der Digitalkamera Casio QV-3500 EX, u.U. in Kombination mit Nahlinsen, Stereo-Lupe oder Mikroskop gemacht. Exklusive der Abbildung des Bärtierchens. Diese wurde in der Biologie-Abteilung des Aggerverbands an einem inversen Mikroskop mit DIK erstellt. Die REM-Aufnahmen sind einerseits im Nees Institut für Biodiversität der Pflanzen, Bonn und andererseits bei Bayer Crop Science, Monheim entstanden.

Literaturliste:

[1] Aichele D., Schwengler, H. W., Unsere Moos- und Farnpflanzen : eine Einführung in die Lebensweise, den Bau und das Erkennen heimischer Moose, Farne, Bärlappe und Schachtelhalme, Stuttgart, 1956

[2] Barthlott, W., Porembski, S., Seine, R., Theisen, I., Karnivoren. Biologie und Kultur Fleischfressender Pflanzen, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2004, 224 S.

[3] Carow, T., Fürst, R., Fleischfressende Pflanzen. Artenübersicht – Kultur – Vermehrung, Nüdlingen, 1999, 72 S. 

[4] Frahm, J.-P., Biologie der Moose, Heidelberg – Berlin, 2001, 357 S.

[5] Frahm, J.-P., Tierfangende Lebermoose. - Das Taublatt, Karnivoren-Fachzeitschrift der GFP, Heft 41, 2001, S. 27-31

[6] Goebel, K., Organographie der Pflanzen: insbesondere der Archegoniaten und Samenpflanzen, 2. Teil: Spezielle Organographie, 1. Heft: Bryophyten, Jena, 1915

[7] Labat, J.-J., Fleischfressende Pflanzen. Auswählen und pflegen, Stuttgart, 2003, 96 S.

[8] Müller, K., Die Lebermoose Europas : Eine Gesamtdarstellung der europäischen Arten, Leipzig, 1954

[9] Strebele, H., Krauter, D., Das Leben im Wassertropfen. Mikroflora und Mikrofaune des Süßwassers. Ein Bestimmungsbuch, Stuttgart, 2002 (9. Auflage),  

[10] Zinsmeister, H. D., Becker, H., Eicher T., Moose, eine Quelle biologisch aktiver Naturstoffe? – Angew. Chem. 103, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim, 1991, S. 134-151

[11] Zinsmeister, H. D., Becker, H., Eicher, T., Mues, R., Das Sekundärstoffpotential von Moosen, Naturwissenschaftliche Rundschau, 47. Jahrgang, Heft 4/1994, S. 131-136